In Erinnerung an Samuel Kofi Yeboah

Gestern, am 19.09.2020, fand auf dem Kleinen Markt in Saarlouis eine Gedenkkundgebung für Samuel Kofi Yeboah statt, der durch einen von Nazis verübten Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Fraulautern ums Leben kam. Über 150 Menschen forderten die lückenlose Aufklärung des Falls und ein würdiges Gedenken an Samuel Yeboah, welches von der Stadt seit nunmehr 29 Jahren verweigert wird.
Neben unserem Redebeitag, den wir wie immer hier veröffentlichen, gab es Redebeiträge der Antifa Saar, der Linksjugend Solid Saar, der Seebrücke Saar, FemUp und der Heinrich Böll Stifftung Saar.

Liebe Gennoss_innen, liebe Freund_innen,

Wir stehen heute gemeinsam hier, um Samuel Kofi Yeboah zu gedenken, der heute vor 29 Jahren bei einemrassistischen Brandanschlag hier in Saarlouis ums Leben kam. Er kam in einer Stadt ums Leben, die Anfang der 90er eine national-befreite Zone war, in der es regelmäßig zu versuchten wie vollendeten Brand- und Bombenanschlägen von Neonazis kam. Wer nicht in das Weltbild der terroristisch agierenden Nazi-Szene in Saarlouis passte, musste ständig Angst vor faschistischen Angriffen haben.

Schon Mitte der 80er Jahre forderten die Saarlouiser Neonazis ganz offen im Magazin „Stern“, dass es Tote geben müsse. Dass es durch den Nazi-Terror schließlich zum Tod des ghanaischen Geflüchteten Samuel Kofi Yeboah kam, lag somit auch am deutschen Staat und der Stadt Saarlouis, welche nicht gegen die lokalen Nazi-Strukturen vorgegangen sind.

Bis heute leugnet die Stadt, dass sie in den 90er Jahren eine starke Nazi-Szene hatte. Zu groß ist die Angst vor einem Imageverlust, wenn man in einer Reihe mit Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen genannt wird. Doch genau in diese Auflistung gehört die Stadt Saarlouis!

Bis heute leugnet die Stadt das rassistische Motiv des Brandanschlages vor 29 Jahren. Bis heute wird Samuel Yeboah von der Stadt nicht als Opfer rassistischer Gewalt anerkannt.

Während die Stadt Saarlouis alles unternimmt, um ihre rassistische Vergangenheit und Gegenwart zu leugnen, sind es Antifaschist_innen, welche seit 29 Jahren das Andenken an Samuel Yeboah am Leben halten.

Seit diesem Jahr wird wieder ermittelt. All das, was Antifaschist_innen seit 29 Jahren sagen, bewahrheitet sich nun auch für die Ermittler_innen:

Dieser Anschlag, der Mord an Samuel Yeboah, war ein Nazi-Mord!

Anstatt nun als Stadtpolitik in Selbstkritik und Scham zu verfallen, den Angehörigen des Opfers Reue zu zeigen und den Antifaschist_innen zu danken, sieht alles danach aus, als würde die städtische Politik, allen voran die SPD, versuchen nun die Erinnerung zu kapern. Die gleiche SPD, die die meiste Zeit seit dem Mord die Oberbürgermeister stellt und dabei die offiziellen Begründungen des kollektiven Verdrängens für die Stadtgesellschaft geliefert hat. Noch 2016 ließ der damalige Oberbürgermeister Henz verlauten, dass die Stadt mit einem Gedenkstein auf dem Friedhof ihrer Verantwortung gerecht werde. Zitat: „Bis heute gibt es keine Beweise für einen rassistischen Anschlag. Insofern will ich meine und unsere Stadt nicht in Vergleich setzen mit Städten, in denen die Anschläge zweifelsfrei rassistischen Ursprungs waren“. An diesem Zitat können wir sehen: Es geht der Stadt Saarlouis nicht um die Aufarbeitung, nicht um Gerechtigkeit für das Opfer, nicht um antifaschistische Konsequenzen sondern einzig und allein um das eigene Image.

Imagepflege ist auch der Grund, warum die Stadt und die Sozialdemokratie nun versuchen wird, das Gedenken an sich zu reißen. Wir kennen diese Methode zu Genüge aus der Geschichte der unrühmlichen Nicht-Aufarbeitung des faschistischen Terrors in der BRD. Sobald es nicht mehr möglich ist, die rassistische oder antisemitische Motivation zu leugnen, muss man auf andere Formen des Verdrängens zurückgreifen. Die perfideste, ekelhafteste Art dessen nennt sich deutsche Erinnerungskultur. Von der Leugnung kommt man ohne Zwischenschritt dahin, sich selbst als demütiger Akteur der Aufarbeitung zu stilisieren. Man institutionalisiert das Gedenken, das Betroffene und Antifaschist_innen jahrelang gegen den Staat erkämpfen mussten. Bei jeder Gelegenheit redet man darüber wie bunt, tolerant und offen man als Nation oder auch als Stadt sei. Über die gesellschaftlichen Ursachen der Morde und deren Vertuschung und Verdrängung schweigt man.

Dies können wir nicht nur in Saarlouis beobachten, sondern auch bei den Gedenkfeiern zum rassistischen Massaker in Hanau im Februar dieses Jahres. Am Folgetag des Anschlags fand dort eine staatlich organisierte Gedenkveranstaltung statt, bei der Angehörige der Opfer nicht sprechen durften. Dafür durfte sich jedoch die lokale und nationale Politprominenz selbst in Szene setzen. Unter ihnen auch der heutige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, welcher selbst im NSU-Komplex die Vertuschung der staatlichen Verstrickung in die rassistischen Morde deckte.

Dies zeigt uns: Gedenken und das Erinnern an die Opfer rechten Terrors darf nicht dem Staat überlassen werden. Ein würdevolles Gedenken muss erkämpft und selbstorganisiert werden!

Um dies zu schaffen, müssen wir uns als Antifaschist_innen der langen und ungebrochenen Tradition rechten Terrors in Deutschland bewusst sein. Aber auch der genauso langen Tradition des Vertuschens, Entschuldigens und der geringen Strafen bis hin zur Straflosigkeit für die Täter. Dies beginnt schon 1919 als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von faschistischen Freikorps ermordet wurden, alles im Auftrag der konterrevolutionären SPD.

Wir müssen wissen, dass es schon damals KPD-Mitglieder waren, die die Täter ermittelten. Wir müssen wissen, dass nur die wenigsten Täter des Nazifaschismus, die allerwenigsten Akteure des Holocaust und des Vernichtungskriegs zur Rechenschaft gezogen wurden. Die meisten von ihnen bauten nach 1945 die BRD und die Staatsapparate auf, welche heute die Nazimörder decken und teilweise unterstützen.

Wir müssen wissen, dass jede Entschädigung, jedes würdevolle Gedenken an die Opfer des Nazifaschismus gegen diesen Staat von Betroffenen und Antifaschist_innen erkämpft werden musste.

Diese ekelhafte deutsche Kontinuität reicht von der Weimarer Republik über das Totschweigen von deutschen Verbrechen im dritten Reich, über das Oktoberfestattentat vor genau 40 Jahren, über den Mord an Samuel Yeboah in Saarlouis bis zu dem Nazi-Terror des NSU und letztendlich bis heute.

Der rechte Terror geht weiter, die Nazibewegung ist teils bestens organisiert, vernetzt und bewaffnet. Sie hat mit der AfD jetzt einen parlamentarischen Arm, sie verfügt über Netzwerke in den Staatsapparaten, welche Waffen und Munition sammeln und lagern, welche ihre Kameraden decken und Ermittlungen behindern. Sie verfügt über Bewegungen auf der Straße und illegal operierende Terror-Gruppen. Auch in unserer Nähe und Nachbarschaft agieren die Akteure der Bewegung:

In der nicht weit entfernten rheinland-pfälzischen Kleinstadt Zweibrücken führt der „Nationale Widerstand Zweibrücken“ heute wie jedes Jahr einen Fackelmarsch durch die Stadt durch, um seine geschichtsrevisionistische Hetze zu verbreiten und die Opfer des NS zu verhöhnen. Auch hier haben Stadt und Zivilgesellschaft seit Jahren die Nazi-Kameradschaft hofiert und verharmlost. Antifaschistischer Protest wurde kriminalisiert und mit Polizeigewalt beantwortet. Das NWZ-Mitglied Andreas Werner Fröhlich erstach vor gut einem Monat den Nachbarn seiner Mutter. Politik und Medien entpolitisierten die Tat – die Kameraden des Nazi-Mörders dürfen heute wieder durch die Stadt laufen.

Alle verschiedene Akteure und Unterstützer des rechten Terrors verfolgen mit anderen Mitteln die Strategie, Menschen, die sie als nicht-deutsch oder als politische Feinde identifizieren in Angst, Lähmung, Entsetzen und Ohnmacht zu versetzen.

Die Ohnmacht der Angehörigen und potenziell Betroffenen kommt jedoch nicht nur von den Anschlägen selbst, sondern auch von dem vom Staat und seiner Zivilgesellschaft betriebenen Vergessen. Über 300 Menschen sind seit der sogenannten Wiedervereinigung Nazi-Mördern zum Opfer gefallen. Ihre Namen sind fast alle vergessen, unter ihnen auch Samuel Kofi Yeboah.

Wir haben jetzt lange über die Notwendigkeit eines antifaschistischen Erinnerns an die Opfer rechter Gewalt gesprochen. Dieses alleine reicht jedoch nicht aus! Es muss verbunden sein mit einer konsequenten antifaschistischen Praxis!

Eben solange wie den rechten Terror gibt es auch antifaschistische Gegenstrategien, welche sich nicht auf den Staat verlassen. Wir müssen Allianzen suchen mit den Betroffenen von rassistischem und antisemitischem Terror und uns gemeinsam, ernsthaft und in vollem Bewusstsein über unsere Feinde so organisieren, dass die Ohnmacht gebrochen werden kann. Dass die Strategie des Terrors und der Einschüchterung nicht aufgeht! Deshalb müssen wir auch die Geschichte des antifaschistischen und antirassistischen Massenselbstschutz kennen, ob organisiert von kommunistischen und anarchistischen Kräften in der Weimarer Republik oder wie heute von Black Communities in den USA.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass Nazis weiterhin ohne Konsequenzen ein Klima der Angst verbreiten können. Die alte Parole „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“ muss Konsens werden. Faschist_innen müssen überall, wo sie auftreten, spüren, dass sie nicht ohne Konsequenzen ihre Ideologie ausleben können. Auf den Staat ist hierbei kein Verlass! Solange die Nazis wissen, dass Teile des Staatsapparates ihre schützende Hand über sie halten, fühlen sie sich sicher und werden weiter zuschlagen. Diese Sicherheit muss ihnen genommen werden. Deshalb zählen auch die Entschuldiger, die Imagepfleger, die Vertuscher in Politik und Zivilgesellschaft zu unseren Gegnern im antifaschistischen Kampf.

Den rechten Terror stoppen können wir erst, wenn die Nazis wieder Angst haben, Nazis zu sein!

In diesem Sinne:

Niemand ist vergessen! Nichts ist vergeben! Erinnern heißt kämpfen!