Nachtrag zum 8. März

Frauenkampftag 2019
Frauenkampftag 2019

Vieles war am diesjährigen internationalen Frauenkampftag pandemiebedingt anders, vieles blieb gleich. Weltweit begehrten Frauen und andere unterdrückte Geschlechter gegen die verschiedenen Erscheinungsformen des Patriarchats auf. Mit (teils illegalisierten) Massendemonstrationen, militanten Auseinandersetzungen, Streiks oder subversiven Aktionen zeigte die feministische Bewegung beispielsweise in Lateinamerika, in Polen, im Iran oder in der Türkei, dass die herrschenden Klassen vor einer organisierten und massenhaft kämpfenden feministischen Bewegung zittern.

Leider, aber das war nicht anders zu erwarten, haben auch in diesem Jahr spaltende Diskussionen weiter an Fahrt aufgenommen und schlugen sich, wie in den letzten Jahren auch, in gewalttätigen Übergriffen nieder. In Paris wurden Frauen, welche abolitionistische Positionen zur Prostitutionsfrage vertreten, von einem aggressiven pseudo-feministischen Mob bedrängt und angegriffen. Auch wurde Agitation mit der Parole „Save 1 Trans, Kill 1 Terf“ betrieben. In anderen europäischen Städten kam es zu ähnlichen Vorfällen. Radikalfeministische und prostitutionskritische Positionen werden zunehmend mit den Stigmata „Terf“ (Trans Exklusive Radical Feminist ) und „Swerf“ (Sex Worker Exklusive Radical Feminist ) belegt, eine Diskussion über verschiedene Analysen, Interessenslagen, Strategien und Taktiken des feministischen Kampfes verhindert. Dass unter dem Deckmantel des Transaktivismus frauenfeindliche und misogyne Inhalte verbreitet werden, ist leider nicht neu. Gleichzeitig gibt es die gegenläufige Tendenz: Geschlecht auf biologische Aspekte zu reduzieren oder die Transbewegung als Ganzes als „U-Boot des Patriarchats“ zu verunglimpfen.

Im Zuge der alljährlich wiederkehrenden Debatten wollen wir einem Text eine Plattform bieten, der sich kritisch mit einem zum 8. März erschienenen Trans*Zine, das frauenfeindliche Inhalte vertritt, auseinandersetzt. Wir wollen dem Kollektiv FemKrit für seinen Text danken, da er in den wesentlichen Fragen auch unsere Positionen wiederspiegelt. Erschrocken sind wir in diesem Jahr weniger über die erwartbaren Angriffe, den Verlauf der Diskussionen oder die unsäglichen Inhalte des Pamphlets der Gruppe Trans*Fläche, sondern vielmehr darüber, dass dieses Zine auch von großen Bündnissen der (radikalen) Linken in Deutschland, wie beispielsweise Ende Gelände, verbreitet wurde. 

All dies zeigt uns, dass der Kampf um eine feministische Bewegung der Frauen und unterdrückten Geschlechter, der auf einer materialistischen und klassenkämpferischen Grundlage aufbaut, drängt. 

Es folgt nun der Text des Kollektivs FemKrit, welcher die Inhalte des Trans*Zines kritisiert, entlarvt und am konkreten Anlass Positionen entwickelt, welche teils auch für andere Diskussionen verallgemeinerbar sind.

Der Link zum Text vom Feministische Kritikhttps://pastebin.com/E0Uy4q7n“ und hier vom 12.3.2021 kopiert:

Dieser Text bezieht sich auf das Zine der Gruppe Trans*Fläche, erschienen am 08.03. auf transflaeche.blackblogs.org.

Wir sind ein Zusammenschluss von Frauen, die bestimmte in dem Zine vertretene Positionen nicht unkommentiert stehen lassen wollen. Wir vertreten keine Gruppe oder Organisation, sondern sprechen ausschließlich für uns.

Wir kritisieren die Kaperung des Frauenkampftags für eine Abschaffung der Kategorie Frau. Anstelle des 8. März hätten z.B. der 31. März, 24. Juli oder 26. Oktober für die Aktion genutzt werden können, um zusätzlich Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für diese trans*- und inter*spezifischen Gedenktage zu generieren. Stattdessen wurde sich bewusst für den Frauenkampftag entschieden. Nicht deckungsgleiche Kämpfe werden so wenig zielführend in einen Topf geworfen und (cis-)frauenspezifische Belange sollen unsichtbar gemacht werden. Die Argumentation, nicht nur cis-Frauen seien vom Patriarchat betroffen, ist insofern nicht schlüssig, als dass jeder der aufgeführten Gedenktage somit die Bekämpfung des Patriarchats zum Thema haben müsste. Eine Umbenennung z.B. des Trans Awareness Day in “antipatriarchalen Kampftag” fordert allerdings niemand. Zudem fällt die Unterdrückung durch patriarchale Strukturen bei cis-, trans*- und inter* Personen völlig unterschiedlich aus. Wo die Anliegen nicht identisch sind, kann auch keine Exkludierung stattfinden; hier sind stattdessen Solidarität und gegenseitige Unterstützung angebracht.

Statt jedoch Ressourcen zu nutzen, um den Frauenkampftag und die Frauen zu unterstützen, werden Ressourcen aufgewendet, sich gegen den Frauenkampftag zu wenden und einen Diskurs im Sinne der Gruppe zu verschieben, der die wichtigen Themen des Frauenkampftages zusehends in den Hintergrund rücken lässt und durch die Forderung einer Umbenennung auf einen performativen Akt der Sprachwahl zurückwirft, bei dem der Begriff Frau aufgelöst werden soll.

Auch die Art und Weise, wie Worte wie Vulva, menstruieren und Schwangerschaft mittels Sonderzeichen verfremdet werden (“V*lv@”, “m€ns|ru*r€n”, S. 6; “S*hw@ng€rsch@ft”, S. 7) scheint wie ein weiterer Versuch, die klassischerweise dem Weiblichen zugeschriebene Anatomie unsichtbar zu machen. Diese Worte erscheinen so als etwas Unsagbares, Schmutziges, welches ausgeschrieben nicht zumutbar ist. Genau dieser Praxis, (weibliche) Sexualität zu tabuisieren und “in die Schmuddelecke zu schieben” verdanken wir jahrhundertelange fehlende Sexual- und Gesundheitsaufklärung und das daraus resultierende Leid.

Die Behauptung, Gebärfähigkeit und Menstruation seien ein Privileg (S. 40f), halten wir für falsch und gefährlich. Im Gegenteil sind wir der Auffassung, dass die Reproduktionsfähigkeit die Hauptursache für die historische Unterdrückung der Frau als Klasse ist. Auch die Forderung der Autorin, über Reproduktionsfragen nicht öffentlich zu sprechen, und die Diffamierung dieser als “übergriffig”, ist unserer Ansicht nach extrem unsolidarisch. Im Hinblick auf fortbestehende Praktiken wie weibliche Genitalverstümmelung oder die Verbannung von Frauen während ihrer Periode z.B. in Nepal oder Indien ist diese Position eurozentristisch und wird nicht dem intersektionalen Anspruch gerecht, den die Gruppe an anderer Stelle für sich beansprucht.

Das Beklagen der Autorin, aufgrund ihres Aussehens keine sexualisierte Gewalt zu erfahren und nicht einmal “für Sex oder Reproduktion nutzbar” zu sein, ist für uns schlichtweg nicht nachvollziehbar und spiegelt das Verständnis über Frauen wider, die ihre Funktion in der Reproduktion erfüllen. Dabei werden sexuelle Übergriffe als weiteres vermeintliches Privileg dargestellt. Auch bedient die Passage “vielleicht wenn ich mir ein besonders schönes Kleid anziehe und mir einen Silikon-BH anziehe […]” das Vorurteil, dass Frauen mit ihrer Kleiderwahl einen Einfluss auf Übergriffe ihnen gegenüber haben.

Dieses Frauenverständnis findet sich auch im Abschnitt wieder, der sich explizit gegen Mütter richtet, die ihre Überforderung beklagen. Hier wird die Tatsache, dass Frauen unbezahlte reproduktive und Care-Arbeit leisten, relativiert und den Frauen als ihre Überlegenheit gegenüber unterdrückten trans* Personen ausgelegt.

Diese misogyne Umdeutung und Relativierung von sehr realen Unterdrückungserfahrungen wollen wir nicht hinnehmen. Vor allem die Suizidandrohung (S. 44) vermittelt den Eindruck, dass die Autorin ein vermeintliches Fehlverhalten von Frauen für ihr persönliches Missbefinden verantwortlich macht, nicht unähnlich einer Ideologie von Incels und Frauenfeinden. Einen solchen Standpunkt unkritisch in das Zine zu übernehmen, halten wir für antifeministisch und gerade mit Hinblick auf das Datum völlig unpassend.

Die Ablehnung von Wissenschaft (S. 44) sehen wir als gefährlich und rückschrittlich an, da sie anti-wissenschaftliche Ressentiments schürt in einem Klima, in dem Verschwörungsideologien (die unter anderem eng mit Antifeminismus verwoben sind) immer stärkeren Anklang in der Gesellschaft finden.

Wir stimmen zu, dass auch Geschlecht und Kolonialismus in einem komplexen Verhältnis zueinander stehen, welches weiter geschichtswissenschaftlich aufgeschlüsselt werden sollte. Wir halten jedoch den vorliegenden Text (S.14) für ungeeignet, die komplexen Zusammenhänge zu erfassen und zu beschreiben.

Dazu ist festzuhalten, dass misogyne Praxis eine Kontinuität aufweist, die über den Kolonialismus hinausreicht und eine weitaus längere Tradition besitzt. So zum Beispiel die Verbrennung von Witwen in Indien, die seit mehreren Jahrhunderten praktiziert wird und bereits Tradition war, als Indien kolonisiert wurde. Erst weitaus später erreichten Frauenrechtlerinnen gesetzliche Verbote, wobei immer noch Frauen dieser Praxis zum Opfer fallen. Ebenso kritisch zu betrachten ist die Behauptung, die Kolonialisierung sei Ursprung des binären Geschlechtersystems (S. 14). Zu unterscheiden ist zunächst zwischen Kulturen, in denen eine Gleichberechtigung der Geschlechter oder ein Matriarchat herrschen, und Kulturen, in denen ein drittes, nicht-binäres Geschlecht existiert. Dieses ist in den meisten Fällen nur gebürtigen Männern vorbehalten (zu nennen sind hier die oft bemühten Beispiele Muxes, Two-Spirit oder Hijras) und reproduziert zumeist sexistische Rollenbilder.

Dabei leistet das vorliegende Zine keine Bildungsarbeit, wie es im Vorwort erwähnt wird, da die Texte sich nicht an relevanten Trans*themen abarbeiten, sondern nur den Konflikt mit cis-Frauen bzw. dem dort genannten cis-Feminismus schüren. Obwohl die Texte mit Parolen gegen das Patriarchat gespickt sind, ist eben dies nicht das Ziel der verbalen Angriffe. Die Widersprüchlichkeiten und die Inkonsistenz innerhalb der Texte zeigen auf, dass das Zine unpolitisch und ohne nennenswerte Analyse besteht, da die Texte nicht über ein abstraktes Verständnis von Patriarchat hinausgehen, während sich die politische Realität außerhalb von Identitäten nicht begreifen lässt.

In Hinblick auf die Reaktionen auf bereits anderweitig erfolgte Kritik an dem Zine gehen wir nicht davon aus, dass eine konstruktive Diskussion möglich oder erwünscht ist. Raum zu schaffen, um sich über Gefühle und Betroffenheit auszutauschen, ist wichtig und notwendig, darf aber nicht die Debatte ersetzen. Wer sich am politischen Diskurs beteiligt, muss mit Kritik rechnen, diese auch aushalten und sie reflektieren.

Die Befreiung kann nur eine kollektive sein!