Die europäische Flüchtlingsbekämpfung brutalisiert sich fortlaufend. Hatten die europäischen Regierungen sich bis vor Kurzem noch damit begnügt, tausende Menschen ertrinken zu lassen, werden jetzt mit den zivilen Seenotretter*innen die einzigen Akteure kriminalisiert, die sich überhaupt noch die Mühe machen, die Zahl der Toten im Mittelmeer zu senken. Die Zentren des Kapitalismus verteidigen sich militärisch gegen alle für die Kapitalverwertung überflüssigen Menschen und inszenieren jene, die vor Armut, Krieg und Verfolgung geflohen sind, als Bedrohung. In den kapitalistischen Zentren selbst steckt die Politik in einer Krise und beantwortet diese mit der Aufrüstung und Militarisierung der Polizei. Die ersten Opfer dieser autoritären Wende zur herrschaftssichernden Bearbeitung der gesellschaftlichen Widersprüche sind auch im Innern die Geflüchteten. Sie werden entrechtet, in Lager interniert und sozial isoliert. Auch das Saarland, in Person seines Innenministers Klaus Boullion, treibt diese unmenschliche Politik der Großen Koalition voran und streitet sich nur darüber, ob eine menschenverachtende Einrichtung nun „Ankerzentrum“ heißen soll oder nicht. Über die unmenschlichen Zustände ist sich das Saarland mit der Bundesregierung einig. Die völkischen und rassistischen Bewegungen freuen sich über diese Gewalt, jubeln wenn Menschen ertrinken und träumen schon von den nächsten brennenden Flüchtlingsheimen. Die bürgerliche Öffentlichkeit ist höchsten zu einer abstrakten Betroffenheit fähig, die weder die Akteure des Mordens benennen will, noch sie bekämpfen.Migration und KlasseDer Kapitalismus und seine ihn in guten Zeiten begleitende Herrschaftsform, die parlamentarische Demokratie, tragen notwendig Flucht und Migration in sich. Überall auf der Welt produzieren sie Elend, geopolitische Konflikte und (Un-)Ordnungskriege.Durch die Inwertsetzung immer weiterer Teile der Erde mittels Vertreibung und Enteignung durch das Kapital werden immer wieder neue Menschen aus ihren vorkapitalistischen, subsistenzwirtschaftlichen Produktionszusammenhängen gerissen und als „doppelt freie Lohnarbeiter*innen“ der Konkurrenz des Arbeitsmarktes überlassen. Diese zieht es dann in die Zentren des Kapitalismus. Die kapitalistische Akkumulation hat ein flexibles Bedürfnis nach immer neuen Arbeitskräften.Deshalb werden sich auch die verschiedenen Fraktionen des Kapitals in den Zentren nicht darüber einig, ob die brutale Abwehr der Geflüchteten, oder eine partielle Durchlässigkeit der Festung Europas zur Schaffung eines Heers von entrechteten Arbeitskräften die erfolgversprechendste Akkumulationsstrategie ist. Der Solidarität aller Nicht-Besitzenden gegen diese konkurrenz- und gewaltförmigen Verhältnisse steht außerdem die nationalistische Politik großer Teile der Arbeiter*innenklasse, im Besonderen der Sozialdemokratie, entgegen. Diese haben die Konkurrenz aller gegen alle, jeweils zum Zwecke des Erhalts der kapitalistischen (Re-)Produktion als Ganze,durch nationalstaatlich ausgehandelte „national-soziale“ Klassenkompromisse auch in einen Konflikt zwischen alteingesessener, nationaler Arbeitskraft und ausländischer Arbeitskraft transformiert. Die Opfer der Durchsetzung dieses Projektes zur nationalen oder supranationalen Regulation des Klassenantagonismus sind im Mittelmeer zu finden. Die Krise der EUNach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten schien es zunächst so,als würden, auf der Grundlage des neuen postfordistischen Akkumulationsregimes, freier Markt und Demokratie unwidersprochen ihren Erfolg auf die ganze Welt ausbreiten. Dass ihre Ausbreitung selbst eine höchst widersprüchliche war, ist spätestens seit der kapitalistischen Verwertungskrise, die vor zehn Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt fand, zu erkennen. Auf ihrer Grundlage drücken sich nun vielfältige Krisenphänomene aus, wie eine allgemeine Krise der Repräsentation und der Politik, die auch in den sich zuspitzenden Widersprüchen der EU aufscheinen. Die EU als neoliberales, supranationales Projekt entstand aus der Notwendigkeit der europäischen Staaten heraus, ihren nationalen ökonomischen Erfolg zu gewährleisten. Der nationale Erfolg auf dem Weltmarkt sollte durch ein supranationales Bündnis mit einem gemeinsamen Binnenmarkt hergestellt werden. Die europäische Einigung auf der ökonomischen Ebene hatte also nationale Zwecke. In der Krise verschärfte sich dieser Widerspruch. Als die Lasten der Krise auf die Nicht-Besitzenden der europäischen Peripherie abgewälzt wurden und es offensichtlich wurde, dass die europäische Einigung auch Verlierer produzierte, bröckelte der hegemoniale Konsens der EU als Erfolgsprojekt. Da die Politik in Europa sich immer weniger auf einen Konsens der Akkumulationsstrategie einigen konnte, wird immer mehr auf die autoritäre Durchsetzung der Stabilität der Herrschaft ohne gesellschaftlichen Konsens zurückgegriffen. Die besten Beispiele sind hierfür die sogenannte „Griechenlandkrise“, die Durchsetzung der Arbeitsmarktreformen in Frankreich oder auch, in besonderer Qualität, die Flüchtlingsbekämpfung. Autoritäre Formierung und deutsche AbschottungAus der Tatsache, dass es der Politik nicht mehr richtig gelingt, gesellschaftliche Konsense herzustellen, beschränkt sie sich immer mehr auf die Exekution von „Sachzwängen“. Daraus folgen auch der Machtzuwachs und die tendenzielle Verselbständigung der Exekutive im bürgerlichen Staat. Ihre Handlungsmacht speist sich aus der Reduzierung von Politik auf Polizei- und Militäroperationen. Die repressiven Staatsapparate vollziehen durch die beschlossenen und noch folgenden „Polizeiaufgabengesetze“, durch die stärker werdende Überwachung und durch die Einschränkung von bürgerlichen Freiheitsrechten eine autoritäre Wende. Erste Opfer dieser neuen Qualität der staatlichen Repression sind die Geflüchteten. An den Außengrenzen werden sie mit Hubschraubern und Wärmebildkameras gejagt und durch die militärische Zerstörung ihrer Möglichkeit der Mobilität werden sie ermordet. Jene, die diese Jagd überstehen, werden interniert, sozial isoliert und es werden ihnen nach und nach alle Bürgerrechte entzogen. Die Entwicklung der Flüchtlingsbekämpfung und ihrer Widersprüche ist zeitlich nachvollziehbar und kennt unter anderem in Deutschland ihren zentralen Akteur. Das Asylrecht der BRD, welches im Angesicht des Nationalsozialismus als ein besonders liberales verfasst wurde, konnte im nationalistischen Taumel, nach der Annexion der DDR und der deutschen Einheit, 1993 faktisch abgeschafft werden und durfte nur noch soweit existieren, wie es in der Staatenkonkurrenz den Zweck der Delegitimierung feindlicher staatlicher Herrschaft bediente. Mit dem Dublin-System hatte es die BRD seit 1990 geschafft, sich faktisch alle Geflüchteten, die sie nicht haben wollte, vom Leib zu halten. Den Bestand dieses Systems sicherten nordafrikanische Regimes und die Spanische „Guardia Civil“. Nach der kapitalistischen Krise, dem Krieg in Syrien und den „Revolutionen“ in Nordafrika kollabierte es letztendlich an seinen eigenen Widersprüchen. Die Staaten der südlichen europäischen Peripherie, welche die Lasten der Krise tragen mussten, mussten nach dem Sturz der Türsteher der Festung Europa nun auch die Lasten der Migration tragen. Sie entschlossen sich, die Flüchtenden weiterreisen zu lassen, ohne sie zu registrieren. Ab Juli 2015 wehrte sich Ungarn vermehrt gegen Rückführungen aus Deutschland und Österreich. Diese übten vermehrt Druck aus, den „Verpflichtungen nachzukommen“; erst seitdem Gerichte Rückführungen nach Ungarn untersagten, wurde der Umgang Ungarns mit Geflüchteten seitens der deutschen Regierung vermehrt kritisiert. Deutschland drückte damit vor allem seine generelle Unzufriedenheit über Ungarns mangelnden Unterordnungswillen innerhalb der EU aus. Der „Sommer der Migration“ 2015, als sich die deutsche Regierung im Angesicht des Ausnahmezustandes am Budapester Bahnhof und der autonom von den Flüchtenden durchgesetzten Mobilität innerhalb der EU entschloss, Sonderzüge nach Deutschland zu organisieren, stand die deutsche Regierung vor der Entscheidung, diese Menschen nach Deutschland einreisen zu lassen oder sie militärisch an der Einreise zu hindern. Doch die Entscheidung für die offenen Grenzen war eine von sehr kurzer Dauer. Während sich die deutsche Zivilbevölkerung selbst beweihräucherte und selbst Linke sich fragten, ob Merkel nicht doch auch „ihre Kanzlerin“ sei, begann die Regierung die im Dublin-System angelegten und in Form von autonomen Flüchtlingsbewegungen zur Auflösung drängenden Wiedersprüche wieder an die neuen und alten Türsteher Europas zu verlagern. Der unmenschliche Deal mit dem Erdogan-Regime und die Unterstützung von diktatorischen Regimen in Afrika waren die ersten offiziellen Handlungen der „Flüchtlingskanzlerin“. Die Abschreckung und Disziplinierung der Geflüchteten wird auch im Innern weitergetrieben. Getragen von CDU und SPD werden kontinuierlich die bürgerlichen Rechte der Geflüchteten beschnitten, sie werden in Lagern interniert und es wird ihnen jede Möglichkeit auf Integration verwehrt. So ist für die geplanten Ankerzentren vorgesehen, dass die dort internierten Geflüchteten nur noch Sachleistungen bekommen, und dass es ihnen verboten sein wird zu arbeiten. Auch eine Schulpflicht für Kinder ist nicht vorgesehen. Ihre Möglichkeiten auf unabhängige rechtliche und medizinische Beratung sollen faktisch ausgehebelt werden.Das Saarland und Innenminister Boullion sind bei dieser Entwicklung ganz vorne mit dabei. So wird das Lager Lebach als „Vorzeigeprojekt“ für die Internierung und soziale Isolierung betrachtet. Ob es auch den Namen „Ankerzentrum“ erhalten soll wird zwischen Bund und Land noch diskutiert, über die Durchsetzung der unmenschlichen Zustände ist man sich jedoch schon von Beginn an einig. Staatliche Gewalt, bürgerliche Öffentlichkeit und die völkische BewegungDie Brutalisierung der europäischen Flüchtlingsbekämpfung und die Krise der Politik sind zentrale Voraussetzungen des Erfolges der völkisch-nationalistischen Bewegungen. Die nationalistische und chauvinistische ideologische Bewältigung der Krise bei gleichzeitiger gesteigerter Handlungsmacht der Exekutive schufen Bedingungen, in denen völkisch-nationalistische Politik sich wohlfühlt. Sie kann in einer sich verschärfenden Konkurrenz und um sich greifenden sozialen Angst die sozialen Konflikte kulturalisieren und naturalisieren. Auf dieser Grundlage bietet sie eine exklusive Kollektivität an, in der es möglich ist zugleich wahnhaft nach den vermeintlichen Schuldigen der eigenen Situation zu fahnden, als auch, sich an die Seite der Gewalt zu stellen. Von diesem Standpunkt aus will die völkische Bewegung die Gewalt der Exekutive radikalisieren und von ihren bürgerlichen Idealen befreien. Die Diskussion mit rechten Positionen und ihren Trägern führt die bürgerliche Öffentlichkeit gerne. Das ideologische Rechtfertigungsmedium des aufgeklärten deutschen Bürgers, namentlich „Die Zeit“, fragt nach dem Pro und Contra der Seenotrettung. Während sich dann die linksliberale Öffentlichkeitvom moralisch überlegenen Standpunkt selbstvergewissernd zuschreit, dass solche Fragen doch nicht gestellt werden dürfen und damit die ideologische und herrschaftssichernde Externalisierung der rassistischen und chauvinistischen Gewalt aus der deutschen Gesellschaft vorantreibt, bildet sich mit der AfD ein Bündnis zwischen den reaktionärsten und chauvinistischsten Teilen des deutschen Kapitals und seinem Staat mit dem völkischen Mob, welches die Brutalisierung und die mal offen, mal implizite Bekenntnis zum europäisch organisierten Mord euphorisch aufnimmt und am liebsten selbst Hand anlegen will.Der Widerspruch zwischen bürgerlichem Ideal und gewalt- und konkurrenzförmiger bürgerlicher Wirklichkeit wird in der linksliberalen Öffentlichkeit idealistisch beantwortet, ohne ihn als notwendige Einheit zu begreifen. Die andere Seite entledigt sich zunehmend ihrer ideologischen Legitimierung durch bürgerliche Ideale, und nimmt öffentlich und explizit den Standpunkt der Gewalt ein. Die Gewalt des Staates in der Flüchtlingsbekämpfung kann die bürgerliche Öffentlichkeit nicht kritisieren, sondern nur in einer abstrakten Betroffenheit die Konsequenzen der staatlichen Logik betrauern. Das Sterbenlassen von 30.000 Geflüchteten an den EU-Außengrenzen seit Anfang des Jahrtausends (schon mehr als 1500 im Jahr 2018) konnte durch die Umstrukturierung des Grenzregimes nach dem „Sommer der Migration“ 2015 erfolgreich in die herrschende Ideologie integriert werden. So war die Umdeutung der Merkelschen Politik in einer Ausnahmesituation, in der die Widersprüche des Dublin-Systems, durch die von den Geflüchteten selbst erzwungene kurzzeitige Autonomie der Migration, zur Aufhebung drängten, als „humanistische Politik“, die Voraussetzung der ideologisch moralischen Überlegenheit der Deutschen bei der Lösung der „Flüchtlingsfrage“. In den folgenden Monaten und Jahren konnte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD noch jegliche Verschärfung des faktisch schon 1993 abgeschafften Asylrechts durchsetzen. Die EU verlagerte die Widersprüche ihrer Flüchtlingsbekämpfung auf ihre Türsteher. Die Deals mit den autoritären Regimen in Afrika und der Türkei, die hochmilitarisierte Jagd auf Geflüchtete an den EU-Außengrenzen, die weitgehende Entrechtung und Drangsalierung derer, die es dennoch geschafft haben. All das konnte passieren, ohne dass das wiedergutgewordene Deutschland seine Moral verlor. Diese bröckelte erst dann wieder als der permanente Ausnahmezustand für die Geflüchteten auch auf ihre zivilen Retter übergriff, als die Sprache der herrschenden Mörder nicht mehr deutlich unterscheidbar war von denjenigen, die den gesellschaftlichen Mord wahnhaft zu ihrem Zweck gemacht haben. Schaffen wir sichere Häfen!Die in den letzten Wochen von der Seebrücke-Bewegung formulierte Forderung nach „sicheren Häfen“ ist eine Notwendigkeit angesichts der Ertrinkenden im Mittelmehr und der Kriminalisierung ihrer Rettung. Gleichzeitig hat sie auch das Potential, eine solidarische Antwort auf die staatliche und nationalistische Sicherheitslogik zu liefern. Wenn die Sicherheit dieser Gesellschaft nur darin besteht, dass dafür Menschen sterben, abgeschoben und entrechtet werden; wenn die Angst in dieser Gesellschaft dadurch bearbeitet wird, dass man immer weiter nach unten tritt, dann ist für uns klar: Die Sicherheit, die wir wollen, ist die Sicherheit, dass wir ohne Angst leben können, egal wie produktiv, nützlich oder verschieden wir sind. Diese Sicherheit können wir nur gemeinsam und solidarisch gegen diese Gesellschaft der Konkurrenz, gegen die Festung Europa und gegen diese mörderische Regierung aus CDU/CSU und SPD erkämpfen. Wir können diesen Zustand nur aufbauen, wenn wir für das Leben, dass wir leben wollen, auch für alle anderen kämpfen. Deshalb wollen wir:- Das Ende der Kriminalisierung der Seenotrettung!- Die Abschaffung von Frontex. Weg mit der Festung Europa!- Die Wiedereinführung des Grundrechts auf Asyl!- Die Kündigung aller Deals mit der Türkei und anderen Diktaturen! – Zivilen Ungehorsam gegen jede Rückführung und gegen Abschiebeknäste. Abschiebungen verhindern!- Kein „Ankerzentrum“ in Lebach! Schluss mit der Internierung und Entrechtung von Menschen.- Eine organisierte antifaschistische und antirassistische Bewegung zur Bekämpfung des gesellschaftlichen Rechtsrucks!