Redebeitrag: 30 Jahre nach dem rassistischen Mord an Samuel Yeboah

Liebe Gennoss_innen, Freund_innen, Interessierte,

dieses Jahr jährt sich der Brandanschlag, bei dem Samuel Yeboah ums Leben kam, zum 30. Mal.

Wir erinnern heute unter dem Motto „Kein Schlussstrich! Aufklären. Einmischen. Konsequenzen ziehen.“ an diesen rassistischen Mord, der sich einreiht in eine lange Kette von Nazimorden in der Bundesrepublik.

Letztes Jahr haben wir hier über die Kontinuität rechten Terrors gesprochen, darüber, dass es Allianzen braucht zwischen Antifaschist_innen und Betroffenen, dass Erinnern und Gedenken erkämpft werden müssen. Anknüpfend daran fragen wir heute: Wie kann es sein, dass Nazis ungestört morden können, warum hat der Staat, wenn überhaupt, nur ein geringes Interesse, gegen die bestens vernetzten Faschisten vorzugehen?

Bei der über Jahre andauernden Mord- und Anschlagserie des NSU, beim Oktoberfestattentat, bei etlichen weiteren Anschlägen waren V-Leute des Geheimdienstes involviert. Es wurde alles dafür getan, die Ermittlungen zu behindern und die schützende Hand über den oder die Täter zu halten. Hiervon ist auch beim Mord an Samuel Yeboah auszugehen.

Anfang der 90er Jahre gab es im Saarland eine bestens organisierte Nazi-Szene. Alle, die nicht ins Weltbild der Nazis passten, mussten Angst um Leib und Leben haben. Egal, ob beim versuchten Anschlag auf das PDS Büro in Saarbrücken, bei zahlreichen Brandanschlägen und Angriffen nur im Raum Saarlouis oder beim Bombenanschlag auf die Wehrmachtsaustellung, die Aufklärungsquote ist gleich 0. Während sie bei anderen Kapitalverbrechen bei über 96 % liegt, wurde im Saarland keiner der eben genannten Anschläge aufgeklärt. Das zeigt, dass dieser Staat und diese Justiz Teil des Problems sind! Dass sie die rassistischen Zustände mit ermöglichen. Auch in Saarlouis wurde vertuscht, verdrängt und relativiert!

Die Saarlouiser Nazis kündigten den Mord sogar öffentlich an! Tageszeitungsleser wussten, dass es einen Monat vor dem Mord an Samuel Yeboah bereits einen Anschlag nach exakt dem gleichen Schema auf eine andere Unterkunft für Geflüchtete gab, und auch in den Folgewochen musste die Feuerwehr zu Unterkünften in Saarlouis ausrücken.

Aber warum halten der Verfassungsschutz und Polizei ihre schützende Hand über die Täter, warum zeigt die Polizei entweder mangelndes Interesse oder ermittelt bewusst in die falsche Richtung? 

Der Verfassungsschutz hatte zu seiner Gründungszeit Anfangs der 1950er primär die Aufgabe, kommunistische Akteure wie etwa die KPD zu bespitzeln.

Zwar kontrollierten die Alliierten in den ersten Jahren, dass keine SS- und Gestapo-Offiziere oder andere ranghohe Nazis in der Behörde Fuß fassten, aber schon 1955 hievte man mit Hubert Schrübbers einen Nazi-Juristen, der in der CDU Zuflucht gefunden hatte, auf den Chefsessel der Behörde. Was das für die Personalpolitik bedeutete, kann man sich ausrechnen. Dass diese deutsche Kontinuität keine des letzten Jahrhunderts ist, zeigt auch die Personalie Hans Georg Maaßen, der von 2012-2018 als Organisator des „Neuanfangs“ nach dem NSU-Skandal dieses Amt innehatte und sich inzwischen in der Öffentlichkeit völlig ungeniert als der Faschist präsentiert, der er ist.

Auch die deutsche Polizei wurde nach der Entmilitarisierung vom deutschen Imperialismus als Keimzelle eines neuen stehenden Heeres gegründet, was sich bis heute in ihrem besonders antidemokratischen Wirken hält. Die nahezu täglich ans Licht kommenden „Einzelfälle“ sprechen für sich.

Es hat schlicht keine Entnazifizierung gegeben. Die alten Nazis wurden, nachdem der deutsche Faschismus von außen militärisch zerschlagen wurde, als vorgeblich geläuterte Demokraten in den Staatsaufbau der BRD miteinbezogen.

So muss einen die Praxis des deutschen Geheimdienstes auch nicht verwundern. Statt Nazi-Strukturen offenzulegen und zu zerschlagen, werden sie seit Bestehen der Bundesrepublik geschützt, mit finanziellen Mitteln und technischem Knowhow aufgebaut.

Weil der Staat das Konzept verfolgt, Nazi-Netzwerke nicht zerschlagen und unterdrücken, sondern mit seinen Spitzeln kontrollieren zu wollen. Die Vermutung etwa, dass militante, bewaffnete Strukturen wie das Combat 18 Netzwerk über 20 Jahre lang nicht verboten wurde, weil es von staatlichen Spitzeln durchsetzt war, liegt nahe. Genau hieran scheiterte auch das erste Verbotsverfahren gegen die NPD.

Staat und Politik gehen erst dann gegen diese Netzwerke vor, wenn sie den Staat gefährden: durch Anschlagspläne gegen seine Repräsentanten oder weil ein zu großer Imageschaden für die Nation vor der Weltöffentlichkeit zu befürchten ist.

Insofern wäre es falsch, in Zusammenhang mit rechtem Terror von einem „Versagen“ des Staates und seiner Geheimdienste zu sprechen. Das Inkaufnehmen von Todesopfern ist vielmehr die Konsequenz der Logik eines Geheimdienstes, der Nazi-Netzwerke nicht zerschlagen, sondern kontrollieren will.

So ist die Nazibewegung, mit Hilfe des Verfassungsschutzes, immer noch bestens organisiert, vernetzt und bewaffnet. Sie hat einen parlamentarischen Arm. Verfügt über Netzwerke in den Staatsapparaten, die Waffen und Munition organisieren und lagern, ihre Kameraden decken und Ermittlungen behindern. Sie verfügt über operierende Terror-Gruppen.

Auch hier und heute! Nicht „nur“ vor 30 Jahren! 10 Kilometer von hier haben die Hammerskins mit der Hatebar in Dillingen einen Treffpunkt, in dem sie ungestört den nächsten Anschlag planen können.

In Frankreich finden regelmäßig große Konzerte statt. Vor knapp zwei Jahren hat, maßgeblich von saarländischen Hammerskins organisiert, im elsässischen Pleine ein Nazi-Konzert stattgefunden, ein internationales Treffen der sich in der sogenannten „Bruderschaft“ organisierten Nazis mit Verbindungen zum internationalen Rechtsterrorismus.

Der saarländische Verfassungsschutz spielt dies so gut es geht herunter. Im darauffolgenden Lagebericht des Dienstes wurde die Naziparty praktisch verschwiegen: die Nazis veranstalteten keine Konzerte, es wäre generell ruhig in der Szene, hieß es.

Liest man den Bericht genauer, taucht das Konzert doch noch auf. Im Kapitel „Linksextremismus“! Weil es, wie so oft, eine Antifa Gruppe war, die dafür gesorgt hatte, dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas vom Treiben der Nazis erfährt.

‚Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“ Das sagte die im letzten Juli verstorbene Shoa-Überlebende und Kommunistin Esther Bejerano, Ehrenbürgerin Saarlouis. Dieser Satz stimmt bis heute. Und er stimmt auch und vor allem hier in Saarlouis.

Hier ist nicht nur eine Verstrickung des Verfassungsschutzes und eine Vertuschung durch die Polizei zu vermuten. Nein! Diese Stadt glänzte auch vor allem dadurch, den mordenden Nazistrukturen durch sozialarbeiterische Projekte Geld und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Stadt und ihre Zivilgesellschaft glänzten 30 Jahre damit, das Gedenken an Samuel Kofi Yeboah zu unterdrücken, mit Missachtung zu strafen und diejenigen, die es trotzdem organisierten, zu kriminalisieren.

Die Loyalität der Zivilgesellschaft zu den Staatsapparaten führte dazu, dass die Mitverantwortlichkeit der Saarlouiser Polizei, des saarländischen Verfassungsschutzes, der Saarlouiser Lokalpolitik verschwiegen wird. Nach 30 Jahren hat sich jetzt die Stadt Saarlouis durch öffentlichen Druck dazu genötigt gesehen, eine Infotafel am ehemaligen Tatort anzubringen und die Tat in den Kontext der Nazigewalt zu setzen.

Wir bestehen jedoch darauf, dass ein würdiges Gedenken an Samuel Yeboah, ein Gedenken, welches keinen Schlussstrich ziehen will, die Aufklärung des gesamten Komplexes und der Verstrickungen staatlicher Akteure fordern muss. Das Gedenken an Samuel Kofi Yeboah muss auch die Kritik an diesem Staat und seiner Organe beinhalten, die so viele Naziopfer erst ermöglicht, zumindest aber in Kauf genommen haben.

Konsequenzen ziehen bedeutet für uns auch, die Entschuldiger, die Imagepfleger, die Vertuscher in Politik und Zivilgesellschaft zu benennen und zu bekämpfen.

Gerechtigkeit für Samuel Kofi Yeboah heißt:  Verfassungsschutz abschaffen!

Gerechtigkeit für Samuel Kofi Yeboah heißt: Die Verantwortlichen der Vertuschung und Leugnung in der Saarlouiser Politik und Polizei müssen aus dem Dienst entfernt werden!

Gerechtigkeit für Samuel Yeboah heißt: Die Nazibewegung muss zerschlagen werden!

Saarlouis, am 18.9.2021