Statement der Seebrücke Saar, der Gruppe ConnAct Saar und der Antifa Saar / Projekt AK zum Jahrestag des rassistischen Massakers in Hanau:

Liebe Freund_innen und Genoss_innen,

Rassismus tötet!

Heute jährt sich der rechte Terroranschlag mit den meisten Todesopfern seit 40 Jahren in der BRD zum ersten Mal. Der Nazi Tobias Rathjen ermordete aus rassistischen Motiven 9 Menschen  und aus frauenfeindlichen Motiven seine Mutter. Seine rassistische Gesinnung legt er in seinem Bekennerschreiben dar, als er davon spricht, dass ganze „Völker vernichtet werden müssen“. Den Anschlag in Hanau bezeichnete er als eine „Grob-Säuberung“. Die rassistische Vernichtungsideologie wird also nicht nur propagiert, sie wird auch von organisierten Nazis wie von unorganisierten Nazis umgesetzt. Das ist ihr Ziel. Deshalb müssen sie gestoppt werden!

Doch rassistische Morde sind nicht nur Taten von den „gesellschaftlichen Rändern“.

Brandstifter für diese Morde finden wir auch in den Medien und der Zivilgesellschaft. Die mediale rassistische Hetze gegen Shisha-Bars und Clan-Kriminalität, die Hetze gegen Geflüchtete: Sie waren vor Hanau Normalität und sind es nach Hanau immer noch! Die Zeitschrift Fokus setzte dem die Krone auf: Noch in der Nacht des Anschlags titelte sie: „Hanau unter Schock — Erste Bilder nach den Shisha-Morden“. Allzu bekannt ist diese Sprache von den Morden des NSU, welche teilweise als „Döner-Morde“ verhandelt wurden. 

Auch der deutsche Staat und seine bewaffneten Organe leisten ihren Beitrag zu den rassistischen Zuständen: Rassistische Polizeigewalt ist Alltag für viele Menschen in Deutschland. Die Migrationskontrollen, die militärische Flüchtlingsabwehr, die Schikane von als Nicht-Deutsch gelesenen Menschen in der Öffentlichkeit und auch die Kriminalisierung von Rückzugsorten für von Rassismus betroffene Menschen, wie z.B. Shisha-Bars. Diese Zustände begünstigten die Morde von Hanau. In der Arena – Bar war der Notausgang verschlossen. Der Verdacht liegt nahe, dass dies in Absprache mit der Polizeibehörde passierte. Said Etris Hashemi, Überlebender der Tatnacht, kommentierte hierzu: „Ich kann jetzt nicht sagen, dass alle das geschafft hätten. Aber es hätten auf alle Fälle einige geschafft da rauszurennen“.

Die Ereignisse von Hanau zeigen uns: (Der) Rassismus tötet: Von der Gesellschaft stigmatisiert und in separierte Freizeitorte verdrängt, von der Polizei im Stich gelassen und eingesperrt, von einem radikalisierten Deutschen mit legalem Waffenbesitz erschossen!

Deutschland — Das Land der „Einzelfälle“

Das rassistische Massaker von Hanau war kein Einzelfall. Nazi-Terror und rassistische Gewalt sind Alltag in der BRD und haben Tradition. Der Mord an Walther Lübcke, das versuchte antisemitische Attentat auf die Synagoge in Halle. 2020 verging kaum ein Tag ohne dass neue Nazi-Netzwerke innerhalb und außerhalb der staatlichen Behörden bekannt wurden. Kaum ein Tag verging ohne Skandale über Vertuschung von Nazi-Gewalt. Die Brandanschlagsserie von Neukölln, die Drohbriefe der Nazipolizisten aus Frankfurt, welche sich NSU 2.0 nennen und mehrere Jahre ungestört Angst verbreiten konnten, die Elite-Wehrsportgruppe namens KSK. Alles sogenannte „Einzelfälle“, welche für die Betroffenen die Gefahr rechten Terrors zum Alltag machen.

Auch im Saarland führt der Alltag der rechten Gewalt über den Mord an Samuel Yeboah, den versuchten Bombenanschlag auf das PDS-Büro in Saarbrücken, die Bombe auf die Wehrmachtsausstellung, zahlreicher Körperverletzungen und Brandanschlägen hin zu dem versuchten rassistischen Mord am 6. Juni 2020 in Saarbrücken-Burbach. Eine Chronik mit allen bekannten Fällen rechten Terrors im Saarland seit den 90er Jahren ist in der aktuellen Ausgabe der „Saarbrücker Hefte“ zu finden. 

Die Forderungen der Initiative 19. Februar zum rassistischen Terror in Hanau sind auch hier zutreffend: „Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen!“ Die Tradition und Kontinuität rechten Terrors in Deutschland wird begleitet von einer Kontinuität des Vertuschens, des Verharmlosens, des Verdrängens! Keiner der Minister_innen unter deren Regentschaft  Nazinetzwerke in der Polizei und im Militär gedeihen konnten, musste bis zum heutigen Tag zurücktreten. Keiner der Lokalpolitiker_innen welche um das Image ihrer Stadt fürchtend Naziaktivitäten verharmlosten und vertuschten und damit Teile ihrer Stadtbevölkerung in Angst leben lassen und in Gefahr bringen, musste zurücktreten. Der Verfassungsschutz, welcher Nazistrukturen finanzierte, mitaufbaute und deckte, besteht weiter fort. Von diesem Staat können wir keine Konsequenzen erwarten! Auch die Aufklärung in Hanau, Halle, Kassel, dem NSU bis nach Saarlouis liegt in den Händen der Angehörigen und anderen antifaschistischen Initiativen. Die Erinnerung wird von selbigen getragen. Am Tag nach dem rechten Terroranschlag mit den meisten Todesopfern seit 40 Jahren in Deutschland feierte Saarbrücken Fasching, das Rathaus schmückte nicht Trauer, sondern betrank sich auf Einladung des Oberbürgermeisters Uwe Conradt. Am gleichen Abend fand in Hanau eine staatlich organisierte Gedenkveranstaltung statt, bei der Angehörige der Opfer nicht sprechen durften. Dafür durfte sich jedoch die lokale und nationale Politprominenz selbst in Szene setzen. Unter ihnen auch der heutige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, welcher selbst im NSU-Komplex die Vertuschung der staatlichen Verstrickung in die rassistischen Morde deckte.

All dies zeigt uns: Ein würdevolles Gedenken, Aufklärung und Konsequenzen müssen erkämpft werden!

Selbstverteidigung ist legitim!

Die Strategie des rechten Terrors ist es, Menschen, die als nicht-deutsch oder als politische Feinde identifiziert werden, in Angst, Lähmung, Entsetzen und Ohnmacht zu versetzen. Den rechten Terror stoppen können wir erst, wenn die Nazis wieder Angst haben Nazis zu sein, wenn die Rassist_innen und Antisemit_innen sich nicht mehr trauen ihre Hetze auszusprechen. Diese Gesellschaft bietet den Betroffenen rechten Terrors diese Sicherheit nicht. Deshalb wollen wir heute auch dafür einstehen, dass solange dieser Staat und seine Zivilgesellschaft diese Sicherheit nicht gewähren, militanter antifaschistischer und antirassistischer Selbstschutz legitim ist! Die migrantische antifaschistische Gruppe Cafe Morgenland schrieb hierzu bereits vor 27 Jahren: „Die Wahl der Mittel liegt in der Hand der Angegriffenen. Im Interesse unseres eigenen Überlebens müssen wir auch die aktive Rolle übernehmen, wann immer wir dazu in der Lage sind.“ (Aus „Die Weizsäckerisierung der Militanz oder Die Banalität des Blöden“, 27.03.1994, zum Kaindl-Prozess der Antifascist Genclik)

Die Ohnmacht zu durchbrechen ist die Hauptaufgabe der antifaschistischen und antirassistischen Kräfte innerhalb der deutschen Zustände! 

Deshalb müssen wir in den Kämpfen um Selbstverteidigung, Aufklärung, Konsequenzen und Erinnern Allianzen bilden mit allen Betroffenen von rassistischen und antisemitischen Terror! 

Auch wenn gerade in der Pandemie, in Zeiten einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, im Alltag rechter Gewalt die Ohnmacht stärker wird, müssen wir Festhalten an der Hoffnung, dass es möglich ist, eine Gesellschaft zu errichten, in der Ausbeutung und Unterdrückung, Krieg, Rassismus und Antisemitismus überwunden sind. Diese Hoffnung zu erhalten und die Ohnmacht überwinden heißt am heutigen Tag: Erinnern, Aufklären, Selbstverteidigung organisieren, Konsequenzen erkämpfen!