Redebeitrag – Gedenkdemonstration 5 Jahre Hanau

Rund 160 Menschen beteiligten sich zum 5 Jahrestag des rassistischen Massakers am 19.02.2020 in Hanau an einer Gedenkdemonstration in Saarbrücken. Wir haben dort folgenden Redebeitrag gehalten:

„Liebe Mitstreiter:innen, liebe Freund:innen, liebe Genoss:innen,

heute vor 5 Jahren am 19.02.2020 wurden 9 Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach beging der Täter einen Femizid an seiner Mutter und brachte sich anschließend selbst um.

Wir sind heute gemeinsam hier um uns an die Opfer dieser Tat zu erinnern – und wir sind hier, um gemeinsam all dem, was diese Tat ermöglicht hat den Kampf anzusagen! Denn auch wenn an diesem Tag nur eine Person gemordet hat: Die Tat war keine Einzeltat – Sie fand nicht in luftleerem Raum statt! Sie war nicht unvorhersehbar! Der Täter war eben kein Einzeltäter!

Vielmehr hätten die Morde verhindert werden können und müssen. Denn der Täter Tobias Rathjen galt in Hanau als Nazi und war der Polizei und der Staatsanwaltschaft bekannt. Gegen ihn wurde nicht nur wegen mehrerer Gewaltdelikte und Drogenschmuggels ermittelt, sondern er stellte selbst Strafanzeigen wegen „Überwachung“ und gegen eine „unbekannte geheimdienstliche Organisation“, die ihn beobachte. Trotz dessen und seiner Psychose mit paranoiden Inhalten, durfte dieser Nazi einen Waffenschein und mehrere Schusswaffen besitzen. Mit einer dieser Waffen beging er später die Tat. Eine Tat, die er auf seiner Website mit rassistischen, antisemitischen und misogynen Inhalten, durch ein Manifest im Januar 2020 ankündigte. Aber statt gegen gefährliche Nazis mit Schusswaffen vorzugehen, unternahm die Polizei Hessen jedoch lieber regelmäßige Razzien in der Arena Bar, einem der Tatorte, und sorgte dafür, dass der Notausgang dauerhaft verschlossen blieb.

Doch nicht nur im Voraus der Tat versagten die deutschen Behörden. In der Tatnacht selbst blieben zahlreiche Notrufe an die Notrufzentrale unbeantwortet. Vili Viorel Paun verfolgte Tobias Rathjen von der Midnight Bar zum Parkplatz vor der Arena Bar, während er 5 Mal versuchte den Polizeinotruf zu erreichen. Seine Ermordung hätte verhindert werden können, wenn ihn jemand davon abgehalten hätte den Täter zu verfolgen. 

Said Etris Hashemi, der Bruder des Getöteten Said Nesar, lag mit einer Schusswunde im Hals in der Arena Bar und wurde von den anwesenden Polizisten mehrmals aufgefordert seinen Ausweis zu zeigen, bevor er erste Hilfe geleistet bekam. Dieses ist nur eines von vielen Beispielen wie mit den Angehörigen der Opfer vor Ort umgegangen wurde: gleichgültig, verurteilend und schlichtweg rassistisch.

Zwischen 2018 und 2022 wurden alleine in Hessen 67 extrem rechte Chatgruppen entdeckt, an welchen insgedamt 110 hessische Polizist:innen beteiligt waren. Unter dem Kürzel NSU 2.0 wurden fast 200 Morddohungen an Menschen versandt, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus engagierten. Diese Briefe beinhalteten persönliche Daten der Empfänger:innen, welche über die Computer in deutschen Polzeibehörden abgefragt wurden. Die meisten von ihnen an hessischen Polzeicomputern.

Neben den 110 Bullen beteiligten sich 20 Beamt:innen des SEK Hessen ebenfalls aktiv in den Chatgruppen. Dreizehn dieser nachgewiesenen Nazi-Polizisten waren in der Hanauer Tatnacht an der Stürmung des Wohnhauses des Täters beteiligt. Kein Wunder also, dass fünf Stunden vergingen bis dann das Haus des Täters stürmte und ihm die Chance gab zu fliehen oder weiter morden zu können – der Tod an der Mutter des Opfers hätte so verhindert werden können.

Doch nicht nur die Polizei Hessen hat ein gewaltiges Problem mit Nazis und Rassisten in den eigenen Reihen. Der NSU 2.0 rief auch in Polizeidienststellen in Berlin und Hamburg Daten ab. In mehreren anderen Bundesländern wurden rechtsextreme Chatgruppen entdeckt. Studien über die Waltanschauung von Polizist:innen beweisen, dass ein großer Anteil von ihnen rasstisch, antisemitisch und sexistisch ist. Reiner Wendt, der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft wünscht sich zurück in eine deutsche Diktatur, befürwortet die massenhafte Überwachung von Menschen und ist vehementer Verfechter von rassistsischen Polizeikontrollen. Polizist:innen begehen immer wieder Gewalttaten, selbst Morde gegenüber migrantischen Menschen. So zum Beispiel der Mord an Oury Jalloh, der am 07. Januar 2007 gefesselt in seiner Zelle in Dessau verbrannte, oder die sechs tödlichen Schüsse auf den 16-Jährigen Mouhamed Dramé am 08. August 2022 in Dortmund. Morde, die bis heute nicht aufgeklärt wurden oder bei welchen die Täter gleich freigesprochen worden sind.

Über diese Zustände der deutschen Polizei müssen wir uns nicht wundern, da sie so eng wie keine andere staatliche Institution mit dem Nationalsozialismus verknüpft ist. Insbesondere in den westdeutschen Bundesländern fand keine  sogenannte „Entnazifierung“ nach 1945 schändlich. Obrigkeitshörigkeit, Militarismus und Corpsgeist bestimmen bis heute die Arbeitsweise der deutschen Polizei. Trotz dem militärischen Sieg über den Nationalsozialismus besteht eine ungebrochene Kontinuität der deutschen Staatsapparate vom Kaiserreich über den Faschismus bis heute. Wir müssen von diesem Polizeiapparat, der in direkter Kontinuität zur Gestapo steht, also keinen Schutz vor rechter Gewalt erwarten, genauso wenig wie die Aufklärung von rechten Morden und das Aufdecken von Neonazinetzwerken.

Dieser Staat ist der Staat der herrschenden Klasse in Deutschland, für deren politische Herrschaft der deutsche Nationalismus eine zentrale Funktion erfüllt. Menschen aus anderen Herkunftsländern sind als billige und entrechtete Arbeitskräfte erwünscht, nicht als gleichberechtigte Bürger. Immer wieder wurden sie nach Deutschland geholt: Im Faschismus aus dem besetzten Europa und als Kriegsgefangene. In der Bundesrepublik aus der Türkei und schließlich aus Süd- und Osteuropa. Erst als Zwangs- dann als „Gast“arbeiter. Heute kann Deutscher werden werden, wer hier lebt und arbeitet, die deutsche Sprache spricht und sich der sogenannten Leitkultur unterwirft – aber es besteht im Kern fort:

Der deutsche Staat nicht wirklich demokratisch. Er untergräbt die bürgerliche Gleichheit und spaltet die Bevölkerung in Bürger und sogenannte Ausländer. 

Und gerade weil diese Grundlagen des deutschen Nationalismus so unhinterfragt, so normalisiert sind, ändern auch schwarze Bullen oder Diversity-Trainings nichts am Charakter der deutschen Polizei. Für die deutsche Bourgeoisie, für ihren Staatsapparat ist der deutsche Nationalismus politisch notwendig, deshalb ist Racial Profiling, Migrationskontrolle und Rassismus kein Fehler im System, sondern Teil der politischen Herrschaft, dessen Gewalt diese Polizei ist.

Letztendlich können wir also nicht von Polizei- oder Behördenversagen bei den Morden in Hanau sprechen, sondern müssen festhalten:

Der Anschlag in Hanau war keine Einzeltat: 

Von der deutschen Dominanzgesellschaft stigmatisiert und in separierte Freizeitorte wie Shishabars gedrängt, von der Polizei wegen rassistischen Kontrollen eingesperrt und zum Abschuss freigegeben, von einem radikalisierten Deutschen mit legalem Waffenbesitz erschossen! Von deutschen Behörden im Stich gelassen und letztlich dem Lachen der Täter überlassen. 

Das zeigt:

Die Polizei hat mitgeschossen. Das SEK hat mitgeschossen. Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat mitgeschossen. Der Deutsche Staat hat mitgeschossen. Der deutsch-nationalistische Mob hat mitgeschossen.

Und einen Tag später tanzten die Täter auf Deutschlands Straßen zu Karnevalsmusik… und heute? Heute schießen und tanzen sie immer noch.

Rassisten werden solange auf ihre Gegner schießen und auf ihren Gräbern tanzen, bis sie jemand stoppt. Also lasst uns aufhören, auf den kapitalistschen Staat und sein Versprechen von ,,Gleichheit und Freiheit“ zu vertrauen. Die kapitalistische Klassengesellschaft schafft Ungleichheit zwischen den Menschen und ist an unserer Freiheit nicht interessiert. Dass er im Zweifel immer auf Seiten der Faschisten steht, hat er mehr als einmal bewiesen. Deutsche Bullen beschützen weder POCs, noch Antifas oder Gewerkschafter:innen vor rechtem Terror – im Gegenteil sie werden selbst zu Angreifern und sie sind gerade dabei Waffen und Munition zu sammeln, Akten mit politischen Gegnern anzulegen, sich in Chatgruppen zu vernetzen und sich überregional zu organisieren. Wer also Antifaschist:in ist, kann sich nicht auf diesen Staat und seine Handlanger verlassen, sondern muss selbst handeln!

Wie zu Beginn gesagt: Wir sind eben auch hier um all dem, was solche Taten ermöglicht den Kampf anzusagen! Also lasst uns, uns miteinander organisieren und eine schlagkräftige Gegenmacht aufbauen. Lasst uns gemeinsam den antifaschistischen Selbstschutz organisieren, Täter handlungsunfähig machen und dem rassistischen, völkisch-nationalistischen Wahn unsere internationalistische Solidarität entgegen stellen. Wo sie uns nach Nationalitäten, Hautfarben, Geschlechtern spalten wollen, lasst uns Schulter an Schulter stehen. Lasst uns gemeinsam erinnern – und lasst uns verdammt nochmal gemeinsam kämpfen: als arbeitende Klassen, als Antifaschist:innen, als Menschen, die von diesem System nichts zu erwarten haben außer Ausbeutung, Ausgrenzung und Verfolgung. Also lasst uns uns zusammenschließen und diesem Staat und seinen Nazis den Kampf ansagen – Um es mit Marx zu sagen: „Krieg den deutschen Zuständen!“

Vielen Dank.“

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